-
3. April 2025
Die Schweizer Raumfahrt: Zwei Fachleute geben Einblicke
Der Innovationspark Zürich hat mit zwei führenden Köpfen der Schweizer Raumfahrt gesprochen – beide aus dem Grossraum Zürich: Prof. Dr. Dr. Oliver Ullrich, Direktor des UZH Space Hub, der auf unserem Innovationscampus im modernisierten Hangar 4 angesiedelt ist, und Dr. Nanja Strecker, Geschäftsführerin von ESA Business Incubation Centre Switzerland (ESA BIC CH) und Co-Leiterin von ETH Zurich I Space.
Hier teilen sie ihre Einschätzungen zur aktuellen Lage der Raumfahrt in der Schweiz und geben einen Ausblick auf die kommenden Jahre.
VISION UND STRATEGIE FÜR DIE RAUMFAHRTFORSCHUNG
Was ist die langfristige Vision des UZH Space Hub für die nächsten fünf bis zehn Jahre?
Prof. Dr. Dr. Oliver Ullrich: Der UZH Space Hub spielt eine Schlüsselrolle in der Innovation der Raumfahrt. Er wurde 2018 vom Innovation Hub der Universität Zürich zusammen mit dem Innovationspark Zürich gegründet – parallel zur Transformation des Flugplatzareals in Dübendorf. Unsere Vision ist klar: Wir wollen ein zentraler Treiber der New Space Economy sein. Dabei setzen wir auf die starke regionale Allianz des Center for Space Aviation und nutzen den einzigartigen Standortvorteil – die Kombination aus Flugplatz und Innovationspark.
Entscheidend dafür sind Zusammenarbeit, Bildung, Wissenschaft und der Mut, radikal neue Entwicklungen anzugehen. Dübendorf ist unser Ausgangspunkt, unser Kern, unsere «Wiege» – das, was es vor 100 Jahren für die Luftfahrt war.
Dr. Nanja Strecker: Unsere Vision für ETH Zurich I Space ist es, Innovation, Forschung und Ausbildung in der Raumfahrtwissenschaft und -technologie voranzutreiben. Wir arbeiten aktiv mit internationalen Raumfahrtagenturen, Start-ups und führenden Institutionen zusammen, um zur Spitzenstellung der Schweiz und Europas im Weltraum beizutragen. Unser Ziel ist es, zentrale Herausforderungen in der Raumfahrt anzugehen, die nächste Generation von Fach- und Führungskräften auszubilden und technologische Innovationen voranzutreiben – mit echtem Mehrwert für Wissenschaft und Gesellschaft.
Wie, glauben Sie, wird sich die Rolle der Schweiz in der globalen Raumfahrtindustrie entwickeln?
Ullrich: Wir setzen uns mit ganzer Energie dafür ein, dass die Schweiz eine führende Rolle in der New Space Economy übernimmt. Ein bedeutender Schritt in diese Richtung ist die Entscheidung von Starlab Space – einem internationalen Joint Venture von Airbus, Voyager Space, Mitsubishi und MDA Space, das den Nachfolger der ISS-Raumstation plant und baut –, seinen europäischen Standort in unserem Innovationspark anzusiedeln. Dazu wurde eine Absichtserklärung mit dem Center for Space and Aviation Switzerland und Liechtenstein (CSA) sowie der Stiftung Innovationspark Zürich unterzeichnet. Geplant sind ein Payload Control & Operations Center, ein User Support Center mit F&E-Flügen sowie ein Science Park mit Fokus auf Biotechnologie, Biomedizin und Pharmazie. Mit dieser Entwicklung hat die Schweiz die Chance, eine führende Position in der Raumfahrt einzunehmen.
Strecker: Schweizer Forschungsinstitute sind an wichtigen Weltraummissionen beteiligt. Die ETH Zürich beispielsweise ist ein zentraler Partner der ESA-Grossmission LISA, die Gravitationswellen im All nachweisen soll. Die Universität Bern hat bereits mehrere wissenschaftliche Instrumente für bedeutende NASA- und ESA-Missionen entwickelt. Schon heute nimmt die Schweiz in verschiedenen Nischenbereichen der globalen Raumfahrtindustrie eine führende Rolle ein. Ein Beispiel: Die Elektromotoren aller NASA-Roboter im All stammen von der Schweizer Firma maxon. Damit spielt die Schweiz sowohl in der Industrie als auch in der Wissenschaft eine wichtige Nischenrolle.
Was sind aktuell die grössten Herausforderungen und Chancen in der Raumfahrtforschung?
Ullrich: Die Schweiz ist in der Forschung erstklassig. In der Raumfahrt besteht allerdings noch eine grosse Lücke – zwischen den riesigen Möglichkeiten und der oft unterschätzten Bedeutung des Weltraums. Wir lernen schnell, aber noch nicht schnell genug. Wir sollten die nächste industrielle Revolution im All aktiv mitgestalten – nicht nur zuschauen.
Strecker: Die grösste Chance für die Raumfahrtforschung heute liegt in der Tatsache, dass die Kosten für den Zugang zum All in den letzten zehn Jahren drastisch gesunken sind. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Forschung – auch für die ernsthafte Suche nach Leben jenseits der Erde. Gleichzeitig bleibt Raumfahrtforschung mit Aussicht auf bahnbrechende Erkenntnisse teuer. Auf globaler Ebene stehen anderen Akteuren oft deutlich mehr Mittel zur Verfügung als in Europa. Eine weitere Herausforderung ist die Nachhaltigkeit im Weltraum. Mit der wachsenden Zahl an Objekten steigt auch das Problem des Weltraumschrotts.
ZUSAMMENARBEIT UND PARTNERSCHAFTEN
Wie arbeitet der UZH Space Hub mit internationalen Partnern wie ESA oder NASA zusammen?
Ullrich: Die Teams am UZH Space Hub verfügen über langjährige und umfassende Erfahrung in der Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Partnern aus Wissenschaft und Industrie sowie in Public-Private-Partnerships. In ihren Forschungsfeldern gehören sie oft zur internationalen Spitze. Der UZH Space Hub arbeitet im Rahmen mehrerer Space Act Agreements mit der NASA zusammen und ist an verschiedenen ESA-Forschungsmissionen beteiligt – teils in führender Rolle, etwa bei JUNO, EUCLID sowie den künftigen Missionen LISA und ARRAKIHS. Das Geographische Institut der Universität Zürich ist exklusiver Schweizer Partner von NASA und ESA. Zudem besteht seit Langem ein Space Act Agreement mit dem NASA Kennedy Space Center, das sich auf die Zusammenarbeit in den Space Life Sciences konzentriert.
Strecker: ETH-Forschende arbeiten mit ESA und NASA in verschiedenen Missionen und Projekten zusammen – sowohl im Upstream-Segment, also direkt im All, als auch im Downstream-Bereich, wo Satellitenbilder auf der Erde genutzt werden. Ein bedeutender Beitrag der ETH Zürich war die Mitarbeit am James-Webb-Teleskop der NASA und an der NASA Insight-Mission, bei der ETH-Forschende die ersten Marsbeben nachweisen konnten. Derzeit laufen mehrere gemeinsame Projekte mit der ESA – von wissenschaftlichen Missionen bis hin zum ESA BIC CH. Dieses unterstützt Start-ups in der Schweiz, die einen Bezug zur Raumfahrt haben.

Prof. Dr. Dr. Oliver Ullrich, UZH Space Hub
Welche aktuellen oder bevorstehenden Kooperationen zwischen Wissenschaft und Industrie finden Sie besonders spannend – und warum?
Ullrich: Die mit Abstand grösste Public-Private-Partnership ist die Zusammenarbeit zwischen dem Center for Space and Aviation und dem Innovationspark Zürich auf der einen Seite und dem Starlab-Konsortium auf der anderen. Hier entsteht das europäische Zentrum für Forschung, Entwicklung und Produktion eines der wichtigsten kommerziellen Raumstationssysteme der Nach-ISS-Ära.
Ein weiteres spannendes Projekt ist die Partnerschaft des UZH Space Hub mit Swiss SkyLab. Am Flugplatz Dübendorf wurde gemeinsam ein Forschungsflugprogramm mit verschiedenen Flugzeugtypen und Anwendungen aufgebaut. Diese eidgenössische Stiftung bildet die Plattform für zivile Forschungsflüge des Center for Space and Aviation.
Strecker: Die ETH Zürich arbeitet bereits in verschiedenen Raumfahrtprojekten mit der Industrie zusammen. In letzter Zeit wenden sich auch vermehrt Unternehmen aus branchenfremden Sektoren an die ETH, um sich an Raumfahrtforschungsprojekten zu beteiligen. Im Herbst 2024 hat die ETH Zürich zudem das erste Masterprogramm in der Schweiz mit Schwerpunkt Raumfahrt gestartet: den MSc in Space Systems. Dabei ist es uns besonders wichtig, die Industrie frühzeitig einzubinden – schliesslich werden die meisten Studierenden später in der globalen Raumfahrt tätig sein.
Wie sehen Sie die Rolle von Start-ups und privaten Unternehmen in der Weiterentwicklung der Raumfahrtforschung?
Ullrich: Mit der geplanten Stilllegung der Internationalen Raumstation ISS bis 2030 beginnt die Privatisierung des erdnahen Orbits. Wegweisende Raumfahrtunternehmen und grosse private Raumstationen wie Starlab, Axiom und Orbital Reef werden die Nutzung des erdnahen Raums vorantreiben – und dabei die Transport- und Betriebskosten erheblich senken.
Diese neuen privaten Stationen werden nicht nur Forschung betreiben, sondern sich auch auf Entwicklung und industrielle Produktion im grossen Massstab konzentrieren. Start-ups und private Unternehmen spielen dabei eine entscheidende Rolle: Sie bringen Dynamik, Wettbewerb und Innovation in die Raumfahrtforschung und treiben sie entscheidend voran.
Strecker: Raumfahrtforschung findet sowohl in der Wissenschaft als auch in den F&E-Abteilungen der Industrie statt. Während Unternehmen oft kurz- und mittelfristiger planen, kann die Forschung an Hochschulen langfristig angelegt werden und geniesst mehr Freiheiten. Start-ups hingegen verfolgen in erster Linie das Ziel, sich als erfolgreiche Unternehmen am Markt zu etablieren – nicht primär Forschung zu betreiben. Doch mit ihren Innovationen treiben sie die Raumfahrtbranche insgesamt voran. In den USA zeigen Unternehmen wie SpaceX und Intuitive Machines, welchen Einfluss Start-ups haben können. Auch in Europa bringen Firmen wie The Exploration Company und ClearSpace neue Impulse und regen gezielt Forschung in bestimmten Bereichen an.
INNOVATIONS- UND FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE
Welche bahnbrechenden Innovationen entstehen derzeit an Ihren Institutionen?
Ullrich: Mit seinen 35 hochrangigen Forschungsgruppen in Bereichen wie Erdbeobachtung, Space Life Sciences, Astrophysik und Supercomputing, autonomes Fliegen und Navigation unbemannter Luftfahrzeuge, umweltfreundliche Luftfahrt und nachhaltige Raumfahrt ist der UZH Space Hub eine unerschöpfliche Quelle innovativer Ideen. Besonders spannende Entwicklungen sehen wir in der autonomen Navigation, der Sensorik für Erdbeobachtung und natürlich in den Life Sciences – insbesondere in der Raumfahrt-Biotechnologie. Hier erwarten wir grosse Durchbrüche für die Medizin. Wenn es eines Tages gelingt, menschliches Gewebe und Organe sicher, kostengünstig und schnell in der Schwerelosigkeit zu produzieren, wäre das eine medizinische Revolution.
Strecker: Die ETH Zürich ist sehr stark in der Robotik – einer Schlüsseltechnologie für die Erforschung des Mondes und anderer Planeten. Ein Beispiel ist Anybotics, ein Spin-off der ETH und ehemaliges Mitglied des ESA BIC CH. Ihr Roboter wurde im GLIMPSE-Studienprojekt eingesetzt, das die ESA Resource Challenge gewonnen hat. Ein weiteres starkes Forschungsfeld der ETH Zürich ist die optische Kommunikation respektive die Photonik. In diesem Bereich gibt es mehrere ETH-Spin-offs, darunter Menhir Photonics. Das Unternehmen arbeitet an Anwendungen auf der Erde, kollaboriert aber auch mit der Raumfahrtbranche und bietet hochpräzise RF-Mikrowellenlösungen für 5G/6G an.
AUSBILDUNG UND TALENTFÖRDERUNG
Wie gewinnen und fördern Sie die nächste Generation von Raumfahrtwissenschaftlerinnen, -wissenschaftlern und Ingenieurinnen, Ingenieuren?
Ullrich: An der Uni Zürich ist das Thema Raumfahrt breit in die Lehrpläne verschiedener Studiengänge integriert. Das breite Angebot an Forschung und Lehre unterstreicht, dass der Weltraum alle Aspekte der Menschheit betrifft. Als Volluniversität lebt die Uni Zürich diese Vielfalt besonders intensiv. Es geht darum, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, Verbindungen zwischen den Disziplinen zu schaffen und neue Brücken zu bauen.
Strecker: Die ETH Zürich hat im Herbst 2024 den MSc in Space Systems ins Leben gerufen – den ersten Masterstudiengang in der Schweiz mit Raumfahrtfokus. Das Programm basiert auf drei zentralen Säulen: Systeme, Daten und Nachhaltigkeit – alles Schlüsselfaktoren der New Space Economy. Das Interesse ist gross: Schon für den ersten Jahrgang gab es zahlreiche Bewerbungen, und für den zweiten, der im Herbst 2025 startet, sind es noch mehr. Die meisten Absolventinnen und Absolventen werden später in die Industrie gehen, einige bleiben in der Forschung. Zusätzlich bietet die ETH Zürich die Vorlesungsreihe «Space Research and Exploration» an. Sie steht allen Studierenden offen, die sich für Raumfahrt interessieren.
Welchen Rat würden Sie Studierenden oder jungen Fachkräften geben, die eine Karriere in der Raumfahrt anstreben?
Ullrich: Kommt zu uns – und startet eine Reise voller Neugier und sehr harter Arbeit!
Strecker: Egal, ob im Master of Science in Space Systems an der ETH oder in einem anderen Studiengang – mein Tipp ist, die Raumfahrtbranche aktiv zu erkunden. Ein Praktikum in einem Unternehmen, einem Start-up oder einer akademischen Forschungsgruppe ist eine hervorragende Möglichkeit, erste Einblicke zu gewinnen. Auch die ESA bietet ein Praktikumsprogramm an, das spannende Karriereperspektiven in der Raumfahrt eröffnet. Wer nach Orientierung sucht, kann sich an ETH Zurich I Space oder Space Exchange Switzerland(SXS) wenden – beide unterstützen Studierende bei der Karriereplanung in der Raumfahrt.

Dr. Nanja Strecker (ETH Zurich I Space, ESA BIC Switzerland)
NACHHALTIGKEIT UND ETHISCHE ÜBERLEGUNGEN
Wie gehen Sie mit Bedenken zu Weltraumschrott und Umweltbelastungen um?
Ullrich: Nachhaltigkeit ist entscheidend für die Zukunft der Raumfahrt. Wir brauchen klare Regeln, bessere Überwachung und Technologien zum aktiven Entfernen von Schrott. Auch nachhaltige Startpraktiken und internationale Zusammenarbeit spielen eine grosse Rolle. Viele Länder, darunter auch die Schweiz, sind momentan daran, neue Weltraumgesetze zu entwickeln. In Zukunft wird es sicher auch eine Art internationale Raumflugkontrolle geben – ein «skyguide» für den erdnahen Orbit. Dabei darf man nicht vergessen: Das Problem des Weltraumschrotts wurde in der Vergangenheit massiv verschärft durch Tests von Antisatellitenwaffen.
Strecker: Das Thema Nachhaltigkeit gehört zur Ausbildung. Es ist eine der Säulen des neuen Masterprogramms in Space Systems an der ETH Zürich. Die Studierenden – und damit die künftige Generation der Raumfahrt – setzen sich bereits im Studium damit auseinander.
Nachhaltigkeit ist auch für Start-ups in der Raumfahrt ein Thema. Beim ESA BIC CH ist sie inzwischen ein Kriterium für die Aufnahme ins Programm. Während der zweijährigen Förderung werden junge Unternehmen dafür sensibilisiert, besonders wenn ihr Geschäftsmodell das Thema bisher nicht berücksichtigt.
Welche ethischen Fragen sind für die Zukunft der menschlichen Raumfahrt besonders wichtig?
Ullrich: Ich möchte hier keine endgültigen Antworten geben, sondern diese Frage als eine der zentralen Aufgaben für die Zukunft verstehen. Bisher wird die Erforschung des Weltraums und die Entwicklung der dafür notwenigen Technologien vor allem durch experimentelle und empirische Methoden vorangetrieben. Doch ein umfassendes Verständnis der menschlichen Raumfahrt erfordert mehr. Theologische, philosophische, geistes- und kulturwissenschaftliche Perspektiven sind essenziell, um die Bedeutung dieser Entwicklung richtig einzuordnen. Als Teil einer umfassenden Universität ist es für den UZH Space Hub deshalb ein grosses Anliegen, möglichst viele dieser Dimensionen einzubeziehen. Interdisziplinäre Brücken helfen uns, Raumfahrt im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung für die gesamte Menschheit zu verstehen. Mir ist besonders wichtig, dass wir Raumfahrt als etwas begreifen, das allen gehört. Es darf nicht nur eine Angelegenheit wohlhabender Nationen sein. Wir müssen alles daransetzen, dass alle Länder – unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation – von den Möglichkeiten des Weltraums profitieren. Ich persönlich bin überzeugt: Wir werden erst dann zu einer interplanetaren Spezies, wenn wir uns wirklich als eine Menschheit begreifen – und auch so handeln.
Strecker: Ethische Überlegungen betreffen viele Aspekte. Eine der drängendsten Fragen ist, welches Risiko wir für Astronautinnen und Astronauten als vertretbar erachten. Eine Marsmission würde sie hoher Strahlung aussetzen und ihr Krebsrisiko lebenslang erhöhen – wo ziehen wir die Grenze? Ist es vertretbar, Menschen auf eine Reise ins All zu schicken, wohl wissend, dass sie allenfalls nie zur Erde zurückkehren werden? Auch die Nutzung des Weltraums selbst ist ein ethisches Thema. Sollte er ausschliesslich friedlicher Erforschung dienen, oder ist eine Militarisierung unausweichlich? Ein weiteres zentrales Thema ist der planetare Schutz. Wenn wir durch menschliche Präsenz irdische Mikroben zum Mars bringen, könnten wir dort möglicherweise existierendes Leben auslöschen. Umgekehrt stellt sich die Frage: Könnte etwas, das Astronautinnen und Astronauten vom Mars mitbringen, eine Gefahr für das Leben auf der Erde darstellen?
ZUKUNFT DER SCHWEIZ ALS RAUMFAHRT-HUB
Wie positioniert sich die Schweiz als führende Akteurin in der europäischen und der globalen Raumfahrt?
Ullrich: Seit 2011 führt die Schweiz die weltweiten Innovationsrankings an. Sie liegt mitten in Europa und verfügt über eine ausgezeichnete Hochschullandschaft, wirtschaftliche Stabilität, moderate Steuern und eine einmalig hohe Lebensqualität. Der Innovationspark Zürich und der UZH Space Hub bieten eine in Europa einzigartige Kombination: ein Innovationszentrum mit Fokus auf Luft- und Raumfahrt, das umfassende Dienstleistungen und skalierbare Entwicklungsmöglichkeiten in direkter Nähe zu führenden Universitäten und Forschungsinstitutionen bietet. Als älteste freie Demokratie der Welt garantiert die Schweiz politische Stabilität, Sicherheit, Neutralität und eine hervorragend funktionierende Infrastruktur. Diese Rahmenbedingungen – zusammen mit ihrer Tradition von Freiheit, Selbstbestimmung und dem Streben nach Exzellenz – machen die Schweiz zu einem idealen Standort für die New Space Economy.
Strecker: Die ETH Zürich hat Raumfahrt als eine ihrer zentralen Prioritäten für die kommenden Jahre definiert – in der Lehre, in der Forschung und im Technologietransfer. Damit soll die Schweiz als führende Akteurin im europäischen und globalen Raumfahrtökosystem etabliert werden. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war die Berufung von Prof. Dr. Thomas Zurbuchen, dem ehemaligen Wissenschaftsdirektor der NASA, als Direktor von ETH Zurich I Space.
Welche von der Schweiz geführten Raumfahrtinitiativen oder -projekte werden in naher und mittlerer Zukunft international eine bedeutende Rolle spielen?
Ullrich: Neben umfangreichen staatlichen Initiativen wie dem neuen European Space Deep-Tech Innovation Centre (ESDI) im Park Innovaare – einem Gemeinschaftsprojekt der ESA und des Paul Scherrer Instituts (PSI) – entsteht derzeit eine bedeutende überregionale Initiative aus der Raumfahrt-Community selbst: Das Center for Space and Aviation Switzerland und Liechtenstein (CSA), eine eidgenössische Stiftung, soll die New Space Economy mit einem einheitlichen Ansatz voranbringen. Die strategische Ausrichtung folgt der Entscheidung der Zürcher Kantonsregierung, Raumfahrt als kantonales Leuchtturmprojekt zu fördern. 2024 haben sich acht führende Institutionen aus dem Grossraum Zürich und dem Rheintal – und aus zwei Ländern – zusammengeschlossen. Sie bündeln ihre Raumfahrtexpertise und Infrastruktur, um das CSA als neues Zentrum für Raumfahrt und Luftfahrt aufzubauen.
Strecker: Wenn es um kurz- bis mittelfristige Auswirkungen geht, stehen vor allem grosse Unternehmen und Start-ups im Fokus. Universitäten haben naturgemäss eher eine mittel- bis langfristige Perspektive. Dennoch gibt es ein konkretes Beispiel aus der ETH Zürich, die Absolventinnen und Absolventen des neuen Master of Science in Space Systems. Wir hoffen, dass sie die Raumfahrt in der Schweiz und darüber hinaus prägen werden – sei es, indem sie die Zahl der raumfahrtbezogenen Start-ups in der Schweiz erhöhen oder die kommerzielle Raumfahrt in Europa weiter vorantreiben.
Welche Rolle, glauben Sie, wird der Innovationspark Zürich in der Zukunft der Raumfahrt in der Schweiz spielen?
Ullrich: Es geht nicht darum, wie wir den Innovationspark Zürich sehen – sondern darum, wie wir gemeinsam die Zukunft der Space Economy in der Schweiz mit und am Park gestalten. Der Innovationspark Zürich, das sind wir alle.
Strecker: Wir sind überzeugt, dass der Standort Dübendorf eine zentrale Rolle für die Raumfahrtaktivitäten in der Schweiz spielen sollte. Die studentische Raumfahrtorganisation ARIS, in der viele ETH-Studierende aktiv sind, ist hier präsent. Die ersten Studierenden des Master of Science in Space Systems hatten bereits Unterricht im ETH Hangar in Dübendorf. Kürzlich haben sie auf dem Flugplatz und im Innovationspark ihre CanSat-Teamübung durchgeführt. Auch Start-ups, die vom ESA BIC CH unterstützt werden, zieht es zunehmend hierher. Unsere Hoffnung ist, dass die Dichte raumfahrtbezogener Start-ups und Unternehmen in den kommenden Jahren deutlich zunimmt. Langfristig erwarten wir auch gemeinsame Projekte zwischen ETH-Forschungsgruppen und Unternehmen am Park. Genau dafür ist dieser Standort gemacht: als Drehscheibe, die Wissenschaft und Wirtschaft zusammenbringt.